Am 08.10.2024 fand unser Workshop rund um das Thema dynamische Tarife statt. Experten aus der Energiebranche diskutierten kreative Ansätze, Herausforderungen beim Smart Meter Rollout und die Zukunft dynamischer Preismodelle. Ein inspirierendes Treffen mit viel Raum für Diskussion und neue Perspektiven.
Jeder von uns kennt dies Gefühl: man geht auf eine Veranstaltung / Party und erwartet rein gar nix. Und dann wird es DIE PARTY! Genauso ging es uns vorgestern beim FAME4ME Expertenworkshop zum Thema dynamische Tarife. Glücklicherweise waren wir auch noch der Gastgeber dieser Veranstaltung.
Im FAME4ME Forschungsprojekt unter Leitung von Christoph Kost vom Fraunhofer ISE (Freiburg) wollen wir gemeinsam mit EnBW, dem KI-Institut der Uni Würzburg und Countrol der Frage nachgehen, wie dynamische Tarife erfolgreich gestaltet werden können. Dazu haben wir Experten und Interessenten aus der Energiebranche zu einem Workshop mit30 Teilnehmenden bei uns in Köln eingeladen. Die Vorträge waren spannend, beleuchteten das Thema aus den unterschiedlichsten Perspektiven, die Referenten hatten Meinungen und die Runde hat von Beginn an begeistert mitdiskutiert. Es war lebhaft, kontrovers, aber immer konstruktiv und wertschätzend.
Wir fassen die für uns interessantesten Learnings aus den Vorträgen hier einmal zusammen:
1. Janina Ketterer von Octopus Energy
- Flexibilität ohne Komplexität ist der Schlüssel für erfolgreiche Tarifangebote.
- Octopus hat bei den Angeboten viel Kreativität bewiesen. Das datengestützte IT-System dahinter ist selfmade: Kraken.
- In UK haben die Saving Sessions (manuelle Lastverschiebung mit mehr als 1 Mio. teilnehmenden Octopus-Kunden) mehr als 10 Mio. Pfund Rewards für diese gebracht. Die Teilnahmebereitschaft hat dabei mit der Zeit eher zugenommen.
- In Deutschland ist die größte Barriere der viel zu langsame und komplexe Smart Meter Rollout. Der UK-Markt ist da infrastrukturell viel viel weiter.
2. Stefan Gruhler & Claudia Schimmel von EnBW
- Der Konzern geht wesentlich vorsichtiger an das Thema als der Challenger: Die Prüfung und Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit ist klar im Zentrum.
- App first Ansatz für B2C wird gewählt und bei MAKE or BUY entscheidet sich das EnBW Team für MAKE bei Abrechnung (EnPower(X)) und VISU (EnBW Zuhause App).
- Ein gMSB Feldtest (365 Nutzer, großer Andrang) mit Netze BW/Karlsruhe wird aufgesetzt. Fokus: Eigenheimbesitzer. 50 erhalten einen dynamischen Tarif.
- Abrechung ist eine Riesen-Challenge („Energiemenge“ statt „Zählerstände“) und auch die Komplexität beim deutschen Rollout.
3. Mehmet Bolat von Verivox
- Dynamische Tarife aus Sicht eines Vergleichsportals. Die Menge wächst von 2 Tarifen (2020) auf aktuell 17 (2024)- knapp 90 müssten es laut Gesetz (über 100.000 Kunden Anbieter-Pflicht) schon heute sein.
- These: entweder es gibt sie nicht oder sie werden gut auf den EVU-Websites versteckt, so dass das Verivox System sie nicht findet…
- Überraschend geringe Konversionsrate von 1% - Tarife unverständlich, komplex und dann ja noch die fehlenden Smart Meter (Die Kunden wollen, aber können nicht, mangels Infrastruktur zuhause).
- Verivox tut sich schwer mit Vergleichbarkeit, hier muss neue Sortierung her und die Anbieter müssen besser „aufklären“: Stichwort Smart Meter. Risikokommunikation?
- Dennoch sieht Bolat Potentiale und Chancen: Cross-Selling / Kombi-Produkte!
4. Ulrich Meyer von enytime.green
- Lichtblick-Mann der ersten Stunde, Gründer der Startups, an dem sich Stadtwerke Münster beteiligt haben, sieht vor allem: große Chancen!
- Enthusiast, Visionär und Evangelist: Dynamische Tarife werden den Markt komplett verändern, ganz viele neue Geschäftsmodelle werden entstehen.
- Erneuerbare sorgen dafür, dass Strom zu Grenzkosten nahe Null produziert werden kann: immer mehr Marktangreifer, z.B. Tibber, EnPal, 1KOMMA5, Lichtblick, SpotmyEnergy, Ostrom, Rabot Charge.
- Ist der Kunde mit Photovoltaik, Ladesäule, Wärmepumpe, Wallbox erst mal weg, dann bleibt er weg(Lock-in-Effekt) – 1200€ Ersparnis pro Haushalt sind dann schon ein Wort!
- Die Mutigen, die vorangehen und Erfahrungen sammeln, werden die Gewinner sein. Die Zögerer marginalisieren sich…
5. Nikolaus Starzacher von Countrol
- Ex-Discovergy Gründer, umtriebiger Experte im wettbewerblichen Messwesen, sieht große Defizite in der Anreizregulierung beim Smart Meter Rollout – er sieht „mangelnde Anreize bei allen Stakeholdern“.
- 3,1 Mrd. EUR Redispatch-Kosten oder 4% nicht genutzte Stromerzeugungsmenge 2023 sieht er als unnötiges „Wegwerfen von Energie“ an.
- Wenn das Netz nicht dumm, sondern digital und transparent wäre nicht nur für die Netzbetreiber, sondern auch endlich für die Verbraucher 5-15% Verbrauchsreduktion drin – ebenfalls Verschwendung möglicher Effizienzgewinne!
- Deutscher Rollout-Status: 2% iMSYS und davon <10% smart (der Rest viel TAF1-Fälle, sprich 1 Datenpunkt pro Jahr– wo ist da bitteschön der Vorteil zum analogen Ferraris-Ablesezähler??)
- Keine Anreize für den gMSB, „First Mover“ zu sein – 3 Mrd Marktpotential/a bei 52 Mio. Stromzählern und 60€ avg POG bleiben ungenutzt.
6. Frederik Pfister von Solarize
- Kommen aus dem Mieterstrom-Thema, heute 100 Kunden aus der Wohnungswirtschaft, Gewerbe und Energieversorger.
- Die SAP Integration wurde geschaffen, sie beherrschen das Thema, Preiszeitreihen intelligent und effizient zu verarbeiten (Kernproblem der Abrechnung bei dynamischen Tarifen).
- Die Challenge sind Datenlücken(fehlende 15 min Werte) durch den Messstellenbetreiber. Lösung: Ersatzwertbildung durch Interpolation auf Basis der SLP Profile.
- Problem: Ersatzwertbildung ist NICHT Bestandteil eines normalen ERP Systems.
- Das Problem ist in der Realität gar nicht so gering: betrifft <10 % der ¼ -Werte, aber >10% der Abrechnungssumme!!- Abrechnung ist Schlüsselkompetenz für den Erfolg vondynamischen Tarifen.
7. Peter Stratmann von der Bundesnetzagentur, Referat Erneuerbare Energien
- Klare Kante beim Thema EEG Förderung, initial gut, heute reformbedürftig: Hängematte vs. Marktbetrieb.
- Smart Meter Rollout: starksuboptimal, wie dies in Deutschland reguliert wird.
- Die EU wünscht sich als Zielgruppe den „active customer“ – in Deutschland ist dieser im Dornröschenschlaf wegen fehlender Transparenz und Teilhabe.
- VNB-Prozesse zu dynamischen Tarifen und Direktvermarktung sind nicht massenmarkttauglich.
- BSI-Bremse muss aus dem Spiel –das „Sicherheitsbedürfnis“ wird viel zu hoch gehängt im internationalen Vergleich.
- Plädoyer für „Wertigkeit von Strom“.
8. Christoph Flath, KI-Professor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
- Kernthema auch hier: Anreize! Verbraucherseite muss aktiviert werden.
- Über die Themen von heute wurde bereits vor 12 Jahren in Feldversuchen geforscht – kein Fortschritt in Deutschland spürbar.
- Die „kWh“ ist heute ein Anachronismus.
- KI kann den Anbietern bei Planung, Empfehlungen, Automatisierung helfen. Mit KI ist für jeden Kunden „ein eigener Preis“ möglich.
- ABER: Deutschland (nicht nur die Forschung) leidet massiv unter einem Datenverfügbarkeits-Problem.
Was haben wir aus dem Workshop mitgenommen?
💡 Lieferantenseitig gibt es noch viele offene Fragen: Wie und vor allem womit wird abgerechnet? Was wäre ein profitabler Business Case? Wie kann Transparenz für die Kunden geschaffen werden? Werden die SLPs den dynamischen Tarifen noch gerecht?
💡 Auch den Endnutzern geht es nicht besser: Dynamische Tarife sind wenig intuitiv und nur schwer greifbar. Es mangelt an Wissen, an den technischen Tools (HEMS,iMSys,...) uvm.
💡 Und Vergleichsanbieter stehen ebenso vor Herausforderungen: Wie können dynamische Tarife gelistet werden? Wie kann ein Tarifvergleich bei schwankenden Strompreisen durchgeführt werden?
Danach wurde noch intensiv diskutiert unter den Referenten und mit den anwesenden Energieversorger-Vertretern – über den Willen, etwas zu verändern und die vielen systembedingten Bremsen. Am Ende gehört Mut dazu, etwas auszuprobieren, für das sich zu Beginn nur selten ein Business Case rechnen lässt. Der Wert der „gesammelten Erfahrung“ wird dabei als „langfristige Business Case“-Komponente häufig von den Controllern unterschätzt. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ gilt auch hier. Ein großes Dankeschön an alle Teilnehmenden, Referenten, Diskutanten und Zuhörern für ein spannendes und inspirierendes Treffen! Natürlich ein Riesendankeschön an das Projektteam, das für reibungslose Organisation und Hosting des Treffens gesorgt haben. Es hat viel Spaß gemacht! Wir hoffen auf eine „Neuauflage“ in 2025 mit neuen Erkenntnissen!